Aschenputtel später
- Beitrags-Autor:Sabine Hönck
- Beitrag veröffentlicht:16. Juli 2025
- Beitrags-Kategorie:Krähensprache/Märchen
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Aschenputtel später
Nun hocke ich hier schon seit über zehn Jahren hinterm Ofen in der Asche, meine Haare sind stumpf und grau geworden und die Haut spröde. Manchmal höre ich ein meckerndes Lachen, wie von einer uralten, halb vertrockneten Ziege ausgestoßen und begreife mit Entsetzen, dass es meiner Kehle entfährt.
Die Gänge zum Grab und den Tauben sind immer seltener geworden in den letzten Jahren. Ich hatte die ewig gleichen Glitzerkleider, die Bälle und die vor Schüchternheit und unterdrücktem Begehren schwitzenden Prinzen allmählich satt.
Wie soll mich so einer retten?
Ich ging zum Schluss barfuss hin mit den Schuhen in der Hand und nahm mich in Acht auf der letzten Treppenstufe. Sie sind so leicht auszutricksen.
Und ich habe zumindest das Tanzen genossen, ohne das lästige immer gleiche Nachspiel mit den Schuhen über mich ergehen lassen zu müssen.
Doch irgendwie erkenne ich mich selbst nicht mehr.
Morgens ächzen meine Knochen, wenn ich mich von meinem Lumpenlager unter der Treppe erhebe und in die Küche schlurfe, um dem Koch zuvorzukommen und das Wasser aufzusetzen. Es ist schon der dritte, seit ich hier bin.
Hat der erste noch mit mir herumgemeckert und mir Beine gemacht, so wurden die anderen beiden allmählich freundlicher und der Neue spricht manchmal in so einem schäkernden Ton mit mir, als wäre ich die alte Geiß aus dem Wald.
Sei’s drum, mir soll es recht sein.
Ein Bad würde mich sicher um Jahre verjüngen und ihm vielleicht die Augen aus dem Kopf fallen lassen. Besser ist es so. Linsen sortiere ich schon lange nicht mehr.
Die Stiefmutter hat gemerkt, dass ich mich nicht um die Bälle reiße, und ihre albernen Töchter sind längst unter Dach und Fach. Wenn’s auch keine Prinzen sind, na ja. Ich beneide sie nicht.
Meine Zeit hier ist jetzt abgelaufen, das spüre ich deutlich.
Morgen gehe ich ein letztes Mal ans Grab und rufe die Tauben. Hoffentlich sind sie nicht allzu verärgert über die Seltenheit meiner Besuche und noch bereit, mir einen letzten Wunsch zu erfüllen.
Ich werde um ein heißes Bad bitten und ein Stück Seife für meine Haare. Um einen sauberen Mantel und eine schwarze Katze.
Und dann werde ich mich freundlich von dem jungen, pausbäckigen Koch verabschieden und seinen erstaunten Gesichtsausdruck genießen. Meine Haare leuchten silbern unter der Asche und meine Augen werden strahlen, weil die Zeit, zu gehen, nun endlich gekommen ist.
Tief in den Wald werde ich wandern, bis zu der Lichtung und der Hütte, vor der eine Alte auf einem Bein im Kreis tanzt und sich freut, dass ich endlich komme.
Auf dem Dach wird der Rabe sitzen und ungeduldig die Ankunft der Tauben erwarten, die mir gefolgt sind.
Ein Fest wird es geben, mit Gesang und Gelächter bis tief in die mondhelle Nacht.
Sabine Hönck, Keiner mehr da, der die Krähensprache versteht, 2023
Beam me up
- Beitrags-Autor:Sabine Hönck
- Beitrag veröffentlicht:24. Juli 2025
- Beitrags-Kategorie:Unterwegstexte
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BEAM ME UP
Heute wieder ein Scottie – Tag.
Das Leben läuft manchmal im ZickZack, sagte P. gestern, obwohl die meisten eher geradeaus, fast im Gleichschritt, versunken in der TechnoTrance, abgeschaltet, eingestöpselt.
Und während irgendwo was plärrt und Marlene mich zu zwingen versucht, ihre Zigarette mit zu rauchen, schmilzt langsam ein riesiger Heidelbeerbecher in meinem Bauch, der mich auch nicht über all das hinwegtröstet, aber gut geschmeckt hat.
Jemand drückt sein Mobiltelefon in die Fettmatte und jede Menge fast begangener Verzweiflungstaten in der Luft. Bin ich froh, dass der Besuch wieder weg ist, ohne Frühstück. Masken fallen gelassen.
Permanentquatscher und sagt doch, ohne zu erröten, man kommt ja gar nicht zu Wort. Mir bleibt das Wort im Halse stecken. Da ist er am Ziel, jedes Wort wird umgedreht, ausgelegt, gefragt wird nichts.
Ich studiere, wie sich auf diese Weise Universen zusammen basteln lassen. Wahrnehmungsfragmente zu einem im Brustton vorgetragenen SO IST ES geklebt werden. Was den Durchblickkamm schwellen lässt und doch nur zeigt, wie perfekt alles aneinander vorbei rauscht. Sind die Gleise erst mal entgleist, passt nichts mehr, passt kein Wort mehr zum andern.
Eine Missinterpretation an die andere. Habe ich zuviel gemeckert und strahle den jungen Kellner an, um meine Freundlichkeit unter Beweis zu stellen, tue ich das sicher nur, weil er so ein Hübscher ist, höre ich B. im Geiste zischen. Falsche Schlange.
Aber natürlich auch das nur in meinem Geist.
Beam me up, Scottie
Sabine Hönck, Montags bei Meesenburg, Unterwegstexte, 2017
Manitou
- Beitrags-Autor:Sabine Hönck
- Beitrag veröffentlicht:29. Juli 2025
- Beitrags-Kategorie:Unterwegstexte
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MANITOU
und wir betrachteten
die gelben Stoppeln auf den Maisfeldern
wo früher mal Wiesen waren
umgesägte Bäume in großen Stapeln am Wegrand und wir
setzten uns auf einen Stamm und
aßen ein Käsebrot
gab nicht groß was zu sehen was Freude gemacht hätte
auf dem Rückweg kamen wir
an einem Bagger vorbei einem mächtigen rostbraunen Bagger
er hatte einen Namen
große weiße Buchstaben auf dem abblätternden
braunen Lack:
MANITOU
mir wurde einen Moment ganz wirr im Kopf
vielleicht wenn es nicht
so kalt gewesen wäre oder wir
einen anderen Weg geradelt wären in ein
anderes Dorf in dem die Läden nicht am Montagnachmittag
geschlossen außer der Apotheke und der Gastwirtschaft
wo es heute Schweineschnitzel gab
nur ein Bäcker vielleicht geöffnet hätte
vielleicht hätte es doch noch
ein ganz netter Nachmittag werden können
so wie das letzte Mal in W. als wir mit
der jungen Bäckersfrau ins Gespräch kamen und sie uns
erklärte was ein LOWCARB – Brot ist und wir das bis dahin
gar nicht gewusst hatten
dabei
wächst auf all diesen Äckern hier schon lange kein Brot mehr
Sabine Hönck, Montags bei Meesenburg, Unterwegstexte, 2017