Sterntaler im Supermarkt
- Beitrags-Autor:Sabine Hönck
- Beitrag veröffentlicht:23. September 2025
- Beitrags-Kategorie:Krähensprache
STERNTALER IM SUPERMARKT
Bin gestern im Supermarkt dem Sterntaler begegnet. Es kam herein mit seiner Schürze voller Goldstücke und wollte Brot kaufen für die Mutter und die kleinen Schwestern.
Es schaute sich im Laden um und wurde ganz verwirrt. Mit nackten Füßen lief es von Regal zu Regal und fand kein Brot. Überall nur Schachteln, Plastikflaschen, Blechdosen oder Plastiktüten.
Es fand kein Brot und fing an zu weinen.
Als ich ihm das Brotregal zeigte, schüttelte es heftig den Kopf. Ich überredete es schließlich, eine der Tüten zu nehmen und musste ihm versprechen, dass ganz bestimmt Brot drin wäre, auch wenn man es nicht riechen könne. Vielleicht zuhause, nach dem Öffnen.
– Nimm mal zwei mit, riet ich ihm.
Ich legte die Pakete auf die glänzenden Taler in seiner Schürze, die es mit beiden Händen festhalten musste, so schwer und voll war sie. Zeigte ihm noch den Weg zur Kasse und fuhr mit meinen Einkäufen fort.
Von der Kasse erschallte kurz darauf Getöse, gefolgt von lautem Geschrei. Ich eilte schnell hin, um nachzusehen, was geschehen war.
Auf dem Band lag der ganze Haufen Gold.
Das Sterntalerchen hatte einfach alles darauf geschüttet, und die Kassiererin fing ein großes Lamento an:
– Was fällt Ihnen ein? Was ist das für ein Unrat hier? Räumen Sie das sofort weg! Erschrocken schaute das Mädchen die Frau an und stammelte:
– Aber . . . ich dachte . . . für das Brot . . .
– Für das Brot bekomme ich zweisiebzig, und das hier, – sie machte eine verächtliche Geste zu dem Haufen Goldstücke, – da haben Sie sich wohl . . . was soll das denn?
Sterntalers Augen füllten sich wieder mit Tränen. Daher bezahlte ich schnell seine Brottüten, schnappte mir einen Pappkarton und schaufelte die Goldstücke hinein. Ich beeilte mich. Hinter uns hatte sich schon eine Schlange gebildet und die Leute fingen an, zu murren.
Als wir draußen standen, wusste ich nicht, wie ich dem Mädchen das alles erklären sollte und bot ihm an, den Karton zu ihm nach Hause zu bringen. Dabei zeigte ich mit der Hand auf mein Auto.
Kaum hatte ich mich wieder umgedreht, war Sterntaler verschwunden und auch der Karton war weg.
Völlig neben der Kappe fuhr ich falsch herum in eine Einbahnstraße. Froh, überhaupt wieder nach Hause zu finden. Machte mir Sorgen um meinen Geisteszustand.
Zwei Tage später wusch ich mein Auto und säuberte auch den Innenraum. Da blinkte etwas unter dem Beifahrersitz. Ich holte ein Goldstück hervor und musste mich einen Moment an die Autotür lehnen und tief durchatmen.
Sabine Hönck Keiner mehr da, der die Krähensprache versteht? – 2019
