Der Fuchs

DER FUCHS

Knallrot schiebt sie sich um die Ecke. Rock, Jacke, Tuch, alles rot.
Ein Strohhut schräg auf dem Kopf. Sie erinnert mich an den Fuchs aus der „Hasenschule“, berühmt, berüchtigt.
Dazu zinnoberrote Lippen. Sie ist entschlossen, einen fröhlichen Samstagabend zu haben. Ihre Armmuskeln sind gut entwickelt, trotzdem kommt sie nur mühsam den Bürgersteig hoch.
Später sehe ich sie mit anderen sitzen, am Tisch vor dem Döner, lacht und amüsiert sich. So sieht es aus. Der Mund leuchtet.
Der Rollstuhl passt genau unter den Tisch.

Sabine Hönck, Keiner mehr da, der die Krähensprache versteht, 2023

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Stille

STILLE

lauschen dem Flüstern der Nacht dem Gesang der Sterne weiß glühend
stumm die gläsernen Töne
klirren im inneren Ohr im Ohrlabyrinth verlaufen sich hinter Hecken
Vorbeistromernde Hüpfende Laufende Jagende
erkennen sich an ihren Marken kommen sich nicht ins Gehege
Geckernde wieseln die Stämme hinauf und hinunter rascheln im Laub
scharren sammeln horten verstecken
in den schaukelnden Kronen schlafen die Fliegenden
segeln bei Anbruch der Dämmerung im Gleitflug durch die Schatten
jagen mit eisernen Schnäbeln
Klagelaute in der Nacht im samtenen Dunkel im spiegelnden Nass.
auf schmalen Wegen im feucht glänzenden Moos
schrille Schreie aus den Horsten wer diese Sprache verstünde
braunsilberne Schwingen stehen in der Höhe
scharfe Augen
Welt hinter Schleiern vielstimmig vieldeutig versteckt sich
Gesang aus fedrigen Kehlen Gesang der verstummt
hört er Stiefel
Geräusche die im Grün verschwinden fast unhörbar sich einfügen in alles
hier wie dort unnachahmliches Zusammenspiel schnell gestört
Gefiederte Singende in Höhlen in Nestern
über Kopf in steinalten Baumarmen Hängende
euch lieben dürfen aus der Ferne
Hügel verwunschen vom Rauschen aus tiefem Raum
raunt es die blauen Zeichen auf diesen Weg
Stille

Sabine Hönck, Keiner mehr da, der die Krähensprache versteht, 2023

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Wie Phönix

WIE PHÖNIX

Wie Phönix aus der Asche, welche Asche, wo war ein Feuer, keines gesehen und doch die Zunge verbrannt.
Zu Aschenputtel gelaufen in den wiederkehrenden heißen Sommern, in ihrem Ofen verkrochen und doch keine Linsen sortiert.
Ach, diese kleinen Revolten.
Und immer wieder die Tauben auf dem Dach.
Einmal war es ein junger Bussard, aber kein Phönix, nein, kein Phönix, ein windzerzauster junger Bussard auf dem Dachfirst des Hauses gegenüber, aber kein Phönix, nein, ein windzerzauster junger Bussard, der sich nur mühsam auf dem Dach hielt, noch nicht mal ein Sturmvogel.
Hab Aschenputtel beschworen, die Tauben ziehen zu lassen und das Grab, ach das Grab, mit Glitzerkleidern und  Prinzen käme man doch vom  Regen in die Traufe.
Mir mein Gesicht mit Asche geschwärzt und vom Wald erzählt, sie wollte es nicht hören, brannte darauf, noch einmal den Haselstrauch zu schütteln für das ultimativ prächtigste Gewand des Zeitalters.
Nein, bescheiden war sie nicht und kein bisschen klüger als ihre Schwestern.
Ein Schloss musste es sein. Protz und Prunk.
Über meine glühenden Schilderungen des Waldlebens schüttelte sie nur verächtlich die staubigen Locken und sah angewidert an ihrem zerlöcherten Kleid herunter, das hatte sie so gründlich satt und lachte über meinen Traum vom Hüttenleben.

Sabine Hönck,  Keiner mehr da, der die Krähensprache versteht, 2023

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Aschenputtel später

Aschenputtel später

Nun hocke ich hier schon seit über zehn Jahren hinterm Ofen in der Asche, meine Haare sind stumpf und grau geworden und die Haut spröde. Manchmal höre ich ein meckerndes Lachen, wie von einer uralten, halb vertrockneten Ziege ausgestoßen und begreife mit Entsetzen, dass es meiner Kehle entfährt.
Die Gänge zum Grab und den Tauben sind immer seltener geworden in den letzten Jahren. Ich hatte die ewig gleichen Glitzerkleider, die  Bälle und die vor Schüchternheit und unterdrücktem Begehren schwitzenden Prinzen allmählich satt.
Wie soll mich so einer retten?
Ich ging zum Schluss barfuss hin mit den Schuhen in der Hand und nahm mich in Acht auf der letzten Treppenstufe. Sie sind so leicht auszutricksen.
Und ich habe zumindest das Tanzen genossen, ohne das lästige immer gleiche Nachspiel mit den Schuhen über mich ergehen lassen zu müssen.
Doch irgendwie erkenne ich mich selbst nicht mehr.
Morgens ächzen meine Knochen, wenn ich mich von meinem Lumpenlager unter der Treppe erhebe und in die Küche schlurfe, um dem Koch zuvorzukommen und das Wasser aufzusetzen. Es ist schon der dritte, seit ich hier bin.
Hat der erste noch mit mir herumgemeckert und mir Beine gemacht, so wurden die anderen beiden allmählich freundlicher und der Neue spricht manchmal in so einem schäkernden Ton mit mir, als wäre ich die alte Geiß aus dem Wald.
Sei’s drum, mir soll es recht sein.
Ein Bad würde mich sicher um Jahre verjüngen und ihm vielleicht die Augen aus dem Kopf fallen lassen. Besser ist es so. Linsen sortiere ich schon lange nicht mehr.
Die Stiefmutter hat gemerkt, dass ich mich nicht um die Bälle reiße, und ihre albernen Töchter sind längst unter Dach und Fach. Wenn’s auch keine Prinzen sind, na ja. Ich beneide sie nicht.
Meine Zeit hier ist jetzt abgelaufen, das spüre ich deutlich.
Morgen gehe ich ein letztes Mal ans Grab und rufe die Tauben. Hoffentlich sind sie nicht allzu verärgert über die Seltenheit meiner Besuche und noch bereit, mir einen letzten Wunsch zu erfüllen.
Ich werde um ein heißes Bad bitten und ein Stück Seife für meine Haare. Um einen sauberen Mantel und eine schwarze Katze.
Und dann werde ich mich freundlich von dem jungen, pausbäckigen Koch verabschieden und seinen erstaunten Gesichtsausdruck genießen. Meine Haare leuchten silbern unter der Asche und meine Augen werden strahlen, weil die Zeit, zu gehen, nun endlich gekommen ist.
Tief in den Wald werde ich wandern, bis zu der Lichtung und der Hütte, vor der eine Alte auf einem Bein im Kreis tanzt und sich freut, dass ich endlich komme.
Auf dem Dach wird der Rabe sitzen und ungeduldig die Ankunft der Tauben erwarten, die mir gefolgt sind.
Ein Fest wird es geben, mit Gesang und Gelächter bis tief in die mondhelle Nacht.

Sabine Hönck, Keiner mehr da, der die Krähensprache versteht, 2023

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