Stummer Gesang

STUMMER GESANG

Die Vorstädte wuchern
Narzissen in Reih und Glied

bekamen Befehl zu wachsen
blühen taub ohne Nektar

Kahlschlag auf den Knicks
überlebende Stämme klammern sich
aneinander

Tinnituslerchen im Ohr
auf dem Himmelsauge blind
sind wir
ein Panoptikum verkleideter Sterne
die Angst haben
zu leuchten?

Sabine Hönck, 2018

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Prolog

PROLOG

Jetzt.
Nichts geschieht in dem Augenblick, wo es geschieht. Scheint erst im Nachhinein wirklich. Geformt in den Mustern der Wahrnehmung.
Jetzt, wo etwas geschieht, geschieht nichts Erkennbares. Formloser Brei aus Geräuschen, Gerüchen, Ansichten, nebeneinander, ohne Verbindung. Bedeutung kommt später. Verfälscht das einst Pure, verändert unmerklich die Farbe, presst in vorhandene Spuren. Schmalspuren.
Was nicht passt, fliegt raus.
Wildwuchs überfordert die neuronalen Netze. Wildwuchs ein Relikt, nicht mehr eingeübt. Wildwuchs im selben Moment nicht erkennbar, scheinbar noch nicht geschehen. Aber wuchernd unter der Oberfläche, hinter der Vorderfront. Dort alles in Reihen, Stapeln, Paketen. Blitzartig sortiert, verlesen, ausgewählt.
Wildwuchs langsam, verschlungen, explodierend, hinter der Stirnsicht. Tiefer liegende Synapsen treten Unruhe los. Lebendig.
Sandfratzen, Wegrandgesichter, Buschleute, Leben überall. Rindentheater, Strandmaskeraden, Blättermasken und stummes Geraschel. Dort etwas, hier etwas, lauter oder leiser, immer zur richtigen Zeit.
Noch jemand da, der die Krähensprache versteht?
Jetzt.

Sabine Hönck, 2011

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